top of page
Susann Mathis

Es werden immer wieder die gleichen Angst-Reflexe bedient

Michael Gleich und Tilman Wörtz betreiben gemeinsam die gemeinnützige „Culture Counts Foundation“, die Herausgeberin von „MUT – Magazin für Lösungen“. Tilman Wörtz schreibt und fotografiert mit seinen Kolleginnen und Kollegen der Reportergemeinschaft Zeitenspiegel die Texte und Fotos für MUT. Details erläutert er im Gespräch mit Susann Mathis.


Tilman Wörtz ist Chefredakteur des MUT-Magazins. Foto: Rainer Kwiotek von Zeitenspiegel Reportagen

Susann Mathis: Die Reportergemeinschaft „Zeitenspiegel“ gibt es seit 1985. Sie arbeiten für Magazine und Zeitungen und für Fernsehanstalten. Warum in Schwaben?

Tilman Wörtz: Die Gründer waren Redakteure von der Waiblinger Kreiszeitung. Sie wollten Reportagen machen und daraus entstand dann Zeitenspiegel. Außerdem sind wir hier im Südwesten Ansprechpartner für Magazine in Hamburg, für den Stern sind wir das Büro in Baden-Württemberg und wir machen auch viel internationale Berichterstattung. Gemeinsam verwirklichen wir auch Projekte, die über die Umsetzung einzelner Reportagen hinausgehen.

Susann Mathis: Sie entscheiden im Team, wer wie viel Budget für welches Projekt bekommt?

Tilman Wörtz: Nicht nur. Wir bezahlen auch nach Bedarf und das ermöglicht, dass einzelne in publizistische Projekte investieren, die erst später auch finanziell Früchte tragen. Ich habe zum Beispiel eine Journalistenschule in der Elfenbeinküste gegründet. Wir vergeben einen Journalistenpreis, den Hansel-Mieth-Preis, auch das ist so ein Projekt. Unseren Kindergarten haben wir aufgebaut, bevor die Stadt eingestiegen ist. Und vor allem: Wir machen einzelne Produktionen, die wir erst finanzieren und dann verkaufen.

Susann Mathis: Entscheiden das immer alle gemeinsam oder gibt es eine Struktur für Entscheidungen?

Tilman Wörtz: Wir sind von der Rechtsform her eine Partnerschaftsgesellschaft, doch grundsätzlich ist es folgendermaßen: Wenn jemand einen Vorschlag macht und die anderen finden das gut, wird das finanziert.

Susann Mathis: Wie ist das Magazin „MUT“ entstanden?

Tilman Wörtz: Seit 2016 treffen sich auf Einladung der Culture Counts Foundation Friedensstifter*innen aus Krisenregionen. Als wir diesen „Global Peace Builder Summit“ vor fünf Jahren zum ersten Mal organisiert haben, war Teil dieses Projekts eine Kommunikationsstrategie. Dabei ist die Idee zum MUTmagazin entstanden. Die ersten beiden Ausgaben waren daher zum Thema Peace Building, wir haben unser Heft „Glaube Kriege Hoffnung“ genannt. Wir wollten von Menschen erzählen, die durch ihre Arbeit radikale Tendenzen umkehren und verfeindete Lager wieder in den Dialog bringen. Nach den ersten beiden Ausgaben haben wir eigene Themen gesucht.

Susann Mathis: Das Magazin liegt vor allem Zeitungen im Südwesten bei. Woran liegt das?

Tilman Wörtz: Unser Gedanke war, dass die großen Zeitungen ihr eigenes Beilagen Magazin haben, nicht aber die Regionalzeitungen. In diese Lücke sollte das MUTmagazin vorstoßen. Die Zeitungen im Südwesten waren offener für unser Angebot.

Susann Mathis: Sie erscheinen einmal im Jahr. Ist das oft genug?

Tilman Wörtz: Wir würden gerne öfter erscheinen. Unser Flaschenhals ist die Finanzierung.

Susann Mathis: Wird denn nicht besonders gern Werbung geschaltet im Umfeld von Berichten, die den Menschen Hoffnung machen?

Tilman Wörtz: Könnte sein. Auf der anderen Seite waren gerade unsere ersten beiden Ausgaben politisch in dem Sinne, dass es um Krisen und Kriege ging, und in diesem Umfeld werben viele Firmen nur verhalten.

Susann Mathis: Die Culture Counts Foundation lehrt auch konstruktiven, lösungsorientierten Journalismus. In der reinen Lehre wird zwischen den beiden Begriffen lösungsorientiert und konstruktiv immer unterschieden.

Tilman Wörtz: Ich beschäftige mich nicht allzu intensiv mit theoretischen Diskussionen über journalistische Konzepte. Im Grunde wollen wir durch die Machart überzeugen. Es ist nicht so, dass wir anderen Journalismus machen, sondern es ist ein gewisser thematischer Fokus und uns interessieren bestimmte Fragen, die vielleicht von vielen anderen Redaktionen nicht so systematisch gestellt werden.

Susann Mathis: Wie schätzen Sie allgemein den konstruktiven Journalismus in Deutschland ein?

Tilman Wörtz: Mittlerweile ist die Debatte angekommen. Ich erlebe trotzdem häufig, dass Kollegen argumentieren, dass man doch kritisch bleiben müsse. Das ist oft unreflektiert, denn von allen seriösen Vertreter*innen des konstruktiven oder lösungsorientierten Journalismus wird immer klargestellt, dass es nicht um einen weichgespülten Wohlfühl-Journalismus geht. Journalist*innen denken ja gern von sich, sie seien wahnsinnig kritisch und unabhängig. Aber im Grunde ist es der Wettlauf um die Aufmerksamkeit der Leser, der dazu führt, dass man immer wieder die gleichen Angst Reflexe bedient.

Susann Mathis: Gerade bei Corona hatten wir eine Menge Angst-Reflexe, die man bedienen konnte. Wie beurteilen Sie die Berichterstattung in Deutschland?

Tilman Wörtz: Natürlich ist die ganze Corona Debatte mit viel Stress und Angst verbunden, entweder vor dem Virus oder vor staatlichen Maßnahmen und Einschränkungen. Doch es gibt auch konstruktive Aspekte. Man hat eine gewisse Polarisierung in der öffentlichen Debatte erlebt und eine starke Emotionalisierung, doch gleichzeitig gab es einen erstaunlichen Zusammenhalt, das haben auch die Umfragen gezeigt.

Susann Mathis: Haben vielleicht die Journalistinnen und Journalisten nach der ersten Aufregung besser und gelassener agiert?

Tilman Wörtz: Natürlich war der Anfang durch das Starren auf die Infektionszahlen und Inzidenzen getriggert. Doch nach einer Weile tritt man in der Regel ein paar Schritte zurück und guckt sich die größere Entwicklung an. So ist auch bei der Corona-Berichterstattung mehr Ruhe eingekehrt. Dabei gab es eine erstaunliche Erweiterung unseres Wissens: Wer wusste schon vor anderthalb Jahren, was ein PCR-Test ist oder was ein mRNA Impfstoff sein soll oder gar, was exponentielles Wachstum ist?


Tilman Wörtz ist Chefredakteur von MUT. Nach dem Politik- und VWL-Studium begann er sein Arbeitsleben bei Zeitenspiegel Reportagen, einer Agentur von Journalisten und Fotografen im schwäbischen Weinstadt. Das MUTmagazin wird über Anzeigen, Spenden und Unterstützer finanziert. 15 Tageszeitungen legen das MUTmagazin Mitte Oktober bei: Badische Zeitung, Elbe-Jeetzel-Zeitung, Ibbenbürener Volkszeitung, Mindener Tageblatt, Nürtinger Zeitung, Pforzheimer Zeitung, Sächsische Zeitung, Schorndorfer Nachrichten, Schwäbische Zeitung, Südwest Presse, Waiblinger Kreiszeitung, Welzheimer Zeitung, Wendlinger Zeitung, Winnender Zeitung.

181 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page