Wenn heute davon die Rede ist, dass Informatik alle Bereiche des Lebens durchzieht, dann folgen Beispiele wie: Software und Datenbanken sind zum zentralen Wirtschaftsgut der meisten Firmen geworden. Der Computer auf vier Rädern ist ein Automobil. Der Computer auf meinem Schreibtisch ist Teil eines gigantischen Geheimdienstapparats. Aber bislang nur selten stellt man sich die Frage, ob ein Orchester etwa ein musizierender Computer sein kann.
In Karlsruhe kann man dieser Frage auf den Grund gehen: An der Hochschule für Musik existiert ein weltweit einzigartiges Institut für Musikinformatik. Ein Institut, in dem nicht einfach erforscht und gelehrt wird, wie man mit soft-und Hardware Musikerinnen und Musiker unterstützt, sondern ein Institut, in dem die Auffassung vertreten wird, dass das Programmieren eine dem Komponieren gleichwertige kreative Tätigkeit ist. Gründer des Instituts ist Professor Dr. Thomas A. Troge. Er studierte, parallel zu seinem Musikstudium, an der Universität Karlsruhe Ingenieurwissenschaften. Nach seiner Promotion baute Troge sein eigenes Forschungsbüro auf. In seinem weißen Büro im schwarzen Neubau der Musikhochschule treffe ich ihn zum Interview.
Mathis: Herr Professor Troge, wie wurde aus Ihrem Forschungsbüro ein Institut der Musikhochschule?
Troge: Bei der Gründung des ZKM wurde ich von der Stadt Karlsruhe als Berater angeworben. In diesem Zusammenhang entstand an der Musikhochschule das Bedürfnis, eine Kooperation mit dem ZKM aufzubauen. Ich selber bin Pianist, habe aber auch schon erstmals ab 1972 versucht, am Computer Musik zu machen. Das ab 1989 an der HfM von mir aufgebaute Fach „Musikinformatik“ – seit 2004 als Institut für Musikwissenschaft und Musikinformatik IMWI – wurde so benannt, um den Unterschied zu verwandten Angeboten wie etwa „Computermusik“ oder „Music Technology“ zu verdeutlichen.
Mathis: An anderen Orten wird das Fach eher technisch orientiert gelehrt. Was ist das Besondere an der Musikinformatik in Karlsruhe?
Troge: An anderen Universitäten sind vergleichbare Angebote in der Regel an den technischen Fakultäten angesiedelt. Dort wird das Fach im Prinzip als Informatik unterrichtet und man belegt ein paar zusätzliche Musikfächer, meistens sogar dann an einer anderen Hochschule. In Karlsruhe dagegen studiert man an der Staatlichen Hochschule für Musik, also einer Kunsthochschule. Hier ist die Musik das Dominierende, unsere Studierenden studieren in ständigem Kontakt zu Musikern aller Fächer. Wir versuchen, auch schon im Bachelorstudium, sehr breite Grundlagen zu legen und trotzdem schon gewisse Vertiefungsrichtungen anzubieten wie z. B.: Sonic Arts/Composition, Software for Creativity und den großen Bereich Audio-/Mediengestaltung, letzteres wollen wir umbenennen in „Künstlerische Medienproduktion“. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass wir ein exzellent ausgestattetes Computerstudio und außerdem seit knapp zwei Jahren einen hervorragenden Multimediasaal in der Hochschule haben.
Mathis: Und wie unterscheiden Sie sich im internationalen Vergleich?
Troge: Zum einen durch eben diese Konzeption unserer Studiengänge. Wir kommen vom Künstlerischen her und machen uns die Informatik zum Werkzeug; zum anderen fragen wir umgekehrt auch, inwieweit sich die Musik informationstheoretisch betrachten lässt. Weltweit einzigartig ist auch, dass unser Studiengang wirklich alle Bereiche der Musikinformatik beinhaltet, von der ‚banalen’ digitalen Audiotechnik bis zur Frage, ob ein Computersystem eines Tages auch zu etwas Ähnlichem wie „künstlerischer Kreativität“ fähig sein kann oder nicht. Die anderen Studiengänge, etwa in den USA oder in Frankreich, heißen etwa „Computer Music“ oder „Music Technology“ oder drücken auf andere Art und Weise aus, dass es sich bei der Musik um eine Ergänzung handelt. Oder man kann das Fach Computermusik belegen, dieses beinhaltet dann allerdings nur den rein kompositorischen Aspekt.
Mathis: auf Ihrer Website steht, dass Sie sich unter anderem auch mit Kognitionswissenschaften bis hin zu Fragestellungen aus der Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz beschäftigen…
Troge: Ja, wir betrachten die Musik auch von der Informationstheorie aus, das bedeutet, sich zu überlegen, was wird mit der Musik eigentlich transportiert. Musik ist eine Art von Information, aber es ist keine semantische, verbalisierbare Information, d.h. wir haben starke Anteile von Kognitionswissenschaft, psychologischer Akustik, Epistomologie, Emotionsforschung usw.. Wir beschäftigen uns mit der Frage: Was nehmen wir überhaupt wahr, aber auch umgekehrt mit der Frage: Wo kann die Informatik von der Musikinformatik profitieren, wie laufen eigentlich kreative Prozesse ab? Das ist aktuell das Hauptthema unseres Doktoranden-und Forschungskollegs. Das Ziel ist es, Simulationsmodelle zu entwerfen, mit denen man kreative Prozesse abbilden und dadurch besser verstehen kann, was bei Menschen passiert, wenn er komponiert, interpretiert oder Musik einfach nur hört.
Mathis: Wie definieren Sie Kreativität?
Troge: Inzwischen zeichnet sich ein gewisser Erkenntnisgewinn ab, sodass man inzwischen sagen kann, dass Kreativität einerseits ein völlig überbewerteter und in Mitteleuropa sogar mystifizierter Begriff ist. Was sich allmählich herauskristallisiert, auch durch die vielen Ergebnisse der neurophysiologischen Forschung in den letzten zwei Jahrzehnten, ist, dass Kreativität eine Grundeigenschaft jedes Säugetiergehirns ist. D.h. wir würden nicht überleben, wenn unser Gehirn nicht ständig die nächste Zukunft extrapolieren würde. Das wird anschaulich, wenn man überlegt, was ein Skifahrer macht, der auf eine Piste kommt und der in Sekundenbruchteilen weiß, wie er fahren muss, um den Hang hinunter zu kommen, ohne mit einem der anderen Skifahrer, einem Baum oder einer Pistenbegrenzung zu kollidieren und der genau weiß, welche Bewegungen er machen muss, um in der richtigen Haltung über einen Buckel auf der Piste zu fahren. Das Gehirn macht also in Sekundenbruchteilen vieles, was man allmählich heute mit den Rechnern simulieren kann: Es simuliert die Topographie des Geländes mit allen dynamischen Schwierigkeiten und extrapoliert eine oder mehrere mögliche Routen.
Bei kreativ tätigen Menschen laufen ähnliche Dinge ab. Der Komponist sagt: Das Schwierigste an einer Komposition ist die erste Note. Bevor ich diese erste Note geschrieben habe, habe ich ein Universum von Möglichkeiten. In dem Moment, wo ich die erste Note geschrieben – ‚gesetzt’ –habe, wird dieser Möglichkeitsraum kleiner und verengt sich mit jeder weiteren Note, die ich dazu setze. Bis sich dann, wenn die Komposition gut läuft, die letzten Noten sich fast von selbst ergeben.
Mathis: Das heißt, jedes Gehirn ist kreativ?
Troge: nicht allein das Gehirn, sondern die Gehirn-Körper-Einheit. Ein wichtiger Schritt in der Forschung war, dass man den Körper wieder einbezogen hat. Ich würde heute den Begriff der kreativen Begabung so verwenden, dass eigentlich jeder Mensch, der ein normales Gehirn und einen normalen Körper hat, auch kreativ sein kann. Und ob er das nun wird oder nicht, das hängt dann im Wesentlichen von seiner individuellen Geschichte ab und von dem Umfeld, in dem er aufwächst. Natürlich klingt das hier nun etwas einfacher, als es dann im konkreten Einzelfall wirklich ist.
Mathis: viele Mathematiker (und auch viele Informatiker) machen selber Musik. Treten diese Begabungen häufig zusammen auf oder sind das einfach zwei Seiten derselben Medaille?
Troge: Darauf kann ich keine definitive Antwort geben. Aber es ist sicherlich richtig, dass sowohl die Mathematik wie auch die Musik Sonderwelten sind. Die Mathematik ist eine Welt, wo die Philosophen sich schon immer fragen, ist es die Welt, nach der unsere Welt konstruiert ist, oder ist es nur etwas, das Menschen sich ausgedacht haben, und das zufällig dafür taugt, einiges unserer Welt zu beschreiben. Es ist auf jeden Fall eine Welt, die ihre eigenen Gesetze hat, die zum Teil übereinstimmen mit dem, was wir als unsere Welt wahrnehmen. Gleichzeitig gibt es aber auch Phänomene in der Mathematik, die nicht zu unserer Welt passen. Und die Musik ist etwas Ähnliches. Sie ist auch eine Welt für sich, die ihre eigene Nomenklatur hat, aber sie hat – im Gegensatz zur Mathematik – eben auch einen ‚weichen’ Bereich. Beiden gemeinsam aber ist, dass sie eigene Welten sind, in die man sich hinein begeben kann und für die man sich begeistern kann.
Mathis: Wer studiert Musikinformatik?
Troge: Das sind oft junge Leute, die sich schwertun mit der Entscheidung, ob sie nun auf eine Musikhochschule oder eine Technische Hochschule gehen sollen. Am Institut für Musikinformatik können sie beides verbinden. Sowohl ihr Interesse für Hard- und Software, also etwa den Instrumentenbau, als auch ein Interesse an künstlerischer Tätigkeit. Wir haben auch Studierende vom KIT, die bei uns Musikwissenschaft oder Musikinformatik als Ergänzungsfach belegen. Wir haben auch regelmäßig KIT-Informatiker, so zwischen einem halben und einem ganzen Dutzend, die hier das Ergänzungsfach belegen.
Mathis: Und was machen Musikinformatiker nach dem Studium?
Troge: Auf dem freien Markt von der Musikinformatik zu leben ist, gerade in Europa, sehr schwierig. Wir unterscheiden den künstlerischen, wissenschaftlichen und industriellen Bereich. Manche schaffen es in eine akademische Laufbahn, das kann natürlich aber nur ein kleiner Teil sein. Kompetenzen werden aber auch zum Beispiel beim Sounddesign in der Industrie gebraucht, bekanntes Beispiel sind etwa Tür- oder Motorengeräusche in der Automobilindustrie. Ein stark wachsender Bereich ist die funktionale künstlerische Musik, etwa in Games, Environments, Filmen, gerade die Filme- und Gamesindustrie hat hier viel Potenzial. Darüber hinaus arbeiten unsere Absolventen in der Arbeit mit Behinderten, zum Beispiel der Führung von Blinden durch akustische Signale, in der Reparatur von (digitalen) Musikinstrumenten und beim Eventmanagement oder der Eventtechnik. Unser Bachelorstudiengang ist durch verschiedene Schwerpunkte gut ausbalanciert und gewährleistet die Flexibilität unserer Absolventen auf dem Markt.
Mathis: Herr Professor Troge, vielen Dank für das Gespräch.
erschienen im VKSI-Magazin #11
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