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  • Susann Mathis

Die Zukunft ist schon da

Medienkonzentration in Baden-Württemberg

Die Frage nach der Zukunft der Zeitung ist so unwiderstehlich – aber auch so unsinnig – wie die Frage, wann man den Vertrag im Fitnesscenter wieder kündigen kann.

Beide Fragen implizieren, dass man eine Phase überwinden müsse. Doch Muskeln bauen sich ganz schnell wieder ab und Medien werden sich auch „nach der Zukunft“ immer weiter verändern.


„Zukunftssicher aufstellen“ lautet eines der verwegenen Versprechen, mit denen Umstrukturierungen in den Verlagen etikettiert werden – verwegen deshalb, da niemand die Zukunft kennt. Es werden daher Rezepte wie Synergien & Co. angewendet, die die Konzerne schützen sollen. Wie man jedoch den Journalismus fit für die Zukunft machen soll, das interessiert nur wenige.

Der Schock über die Entscheidung von DuMont, seine Regionalzeitungen verkaufen zu wollen, hat die Branche schwer erschüttert. Und die Zeiten sind vorbei, in denen man gerne glauben mochte, im das „Zeitungsland Baden-Württemberg“ liefe es anders. Auch hier im Südwesten hat die Pressekonzentration in den letzten Jahren gewaltig Schwung aufgenommen[i]. Zwar liegt in Baden-Württemberg der Auflagenschwund unter dem Bundesschnitt. Aber auch in Baden-Württemberg gibt es faktisch immer weniger unterschiedliche Zeitungen. Die für die Region typische mittelgroße Heimatzeitung aus einem familiengeführten Medienhaus bleibt als Marke zwar erhalten, um die Leser-Blatt-Bindung nicht zu destabilisieren, ihre Inhalte kann sie oft nicht mehr erstellen. Die „Mantelpartnerschaft“ war bei vielen Zeitungen die erste Sparmaßnahme.


Eine neue Welle

In der Untersuchung Media-Perspektiven schreibt der Journalist und Medienforscher Horst Röper im Januar 2019, von einer „neuen Welle“ der Pressekonzentration in der Zeitungsbranche: Die zehn führenden Verlagsgruppen haben ihren Anteil am Gesamtmarkt der Tagespresse auf 61,6 Prozent erhöht. „Gegenwärtig scheint dort „jeder mit jedem“ zu verhandeln, zum einen über Kooperationen – insbesondere im Bereich der Redaktion – zum anderen über Fusionen.“

Die Ursachen liegen auf der Hand: Werbeeinnahmen brechen weg, Verlage müssen die Preise erhöhen, dadurch verlieren sie auch wieder Käufer. Die sinkenden Druckauflagen führen wiederum zu steigenden Papierpreisen und erhöhen so wieder den Stückpreis. Nur auflagenstarke Verlagsgruppen können in dieser Situation Vorteile realisieren, nur sie können durch Zukäufe Synergiepotenziale nutzen und so auch in einer angespannten Situation die Stückkosten senken. Sachlich konstatiert Röper: „Nach den Erkenntnissen der Vergangenheit ist es als wahrscheinlich anzusehen, dass der ökonomischen Konzentration eine publizistische Konzentration folgt.“

Ohne gleich wie etwa Funke oder Madsack (und mit ihnen zusammen DuMont) die überregionale Berichterstattung jeweils von einer Zentrale in Berlin erstellen zu lassen, werden auch in Baden-Württemberg Sparkonzepte angewendet, als deren Konsequenz die Meinungsvielfalt stark abnimmt.


Mit einer Stimme aus der Hauptstadt

So haben etwa im vergangenen September die Schwäbische Zeitung (Ravensburg) und die SÜDWEST PRESSE (Ulm) ihre Hauptstadtredaktionen zusammengelegt. Sabine Lennartz, die langjährige Korrespondentin der Schwäbischen Zeitung, ist in die Räume der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft (NBR) in der Friedrichstraße eingezogen. Die NBR erstellt bereits jetzt mit 14 Redakteuren vor Ort Inhalte für die SÜDWEST PRESSE, die Märkische Oderzeitung und die Lausitzer Rundschau. Hendrik Groth, Chefredakteur der Schwäbischen Zeitung, begründet: „Wir wollen die Qualität der Berichterstattung erhöhen, ohne die Selbstständigkeit der einzelnen Titel aufzugeben.“ Auf die Inhalte haben beide Zeitungsredaktionen Zugriff.


Geschichten billig einkaufen

Seit November 2016 hatte die „Heilbronner Stimme“ die Zahl der Ressorts und Ausgaben eingedampft, die Abläufe neu organisiert und das Blatt sowie den Digitalauftritt erneuert. Zu den grundlegenden Neuerungen gehörte die Trennung in Editoren und Autoren. Auf die Frage (in einem kress-pro-Interview), was sie sich von der Zweiteilung versprächen, antwortet Heer: „Ich meine, dass Synergien in Redaktionen ein Riesenthema sind. Es gibt ganz viele Doppelstrukturen, die nicht mehr zeitgemäß sind. Bei uns haben schon die ersten Wochen gezeigt, dass wir durch die Trennung in Editoren und Autoren einen deutlichen Zuwachs an eigenen Geschichten haben.“ Einen deutlichen Zuwachs an eigenen Geschichten? Da erstaunt es doch sehr, dass seit Mai vergangenen Jahres die Heilbronner Stimme ganze Seiten und Themenpakete vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (Madsack) bezieht. Sie ist damit der erste baden-württembergische Kunde für den Verlag aus Norddeutschland, wie Madsack nicht versäumt, seine Zukunftsvisionen zu betonen. Günstiger sind die Geschichten ganz bestimmt: Das Redaktionsnetzwerk Deutschland von Madsack ist eine tariflose Firma.

À propos Madsack… es soll ja hier um Baden-Württemberg gehen, aber ein kleiner Exkurs sei erlaubt. Eine digitale Offensive soll die MADSACK Mediengruppe künftig zu einem „führenden Verbund von regionalen Qualitätszeitungen“ machen, wie es in der eigenen Pressemitteilung heißt. Für DuMont war die Kooperation mit Madsack der Anfang vom Ende[ii]. Die sechs DuMont-Titel (neben der Berliner Zeitung der Kölner Stadtanzeiger, die Mitteldeutsche Zeitung sowie die Boulevardtitel Express in Köln, die Morgenpost in Hamburg und der Berliner Kurier) beziehen seit August 2018 ihre überregionalen Inhalte vom RND und haben ihre eigene Redaktionsgemeinschaft geschlossen – nun wollen sie ihre Zeitungen insgesamt verkaufen.

So weit weg ist das im Übrigen gar nicht. DuMont hatte seinen Auslandskorrespondenten gekündigt und sie an Madsack verwiesen. Madsack genehmigt aber nur in Ausnahmefällen Pauschalen, sondern verfährt nach „pay per publication“. „Das ist der Weg in die Verarmung, denn ohne feste Monatspauschale kann sich kein deutscher Korrespondent einen Auslandsaufenthalt leisten“, kritisierte Hendrik Zörner, Pressesprecher der DJV. Da auch Zeitungen wie die „Südwestpresse“ oder die „Schwäbische Zeitung“ mit DuMont gemeinsam Auslandskorrespondent*innen beauftragt hatten, hat Madsacks Sparkurs direkte Auswirkungen auf Qualität und Umfang ihrer Auslandsberichterstattung.


Paradebeispiel SWMH

Das Paradebeispiel im Südwesten ist die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH). Sie hat 2017 ein Umsatzplus von 6,8 Prozent auf rund 939,1 Mio. Euro erwirtschaftet. Dies geht aus dem jüngst veröffentlichten Geschäftsbericht hervor. Dabei profitierte sie vor allem von ihren neuen Beteiligungen: 2017 hatte die SWMH über die Stuttgarter Zeitung in die Kreiszeitung Böblinger Bote investiert, Oktober 2016 hatte sie die Mehrheit am Bechtle Verlag (Esslinger Zeitung) übernommen. Ein starkes Wachstum habe der Konzern im Bereich der digitalen Vertriebserlöse erzielt – genaue Zahlen werden dazu jedoch nicht genannt.

Der neue Geschäftsführer der SWMH, Christian Wegner, ein ehemaliger Manager von ProSiebenSat1, hat schon mal angefangen, an den Rändern zu knabbern und hat damit – je nach Quelle und Fokus variieren die Zahlen– durch die berühmten „Synergieeffekte“, sprich die Beauftragung billiger externer Dienstleister, mehrere hundert Stellen abgebaut. Aber auch redaktionell hat die SWMH rund um Stuttgart die Verdichtung vorangetrieben:


Bietigheimer Zeitung

Der jüngste Coup: Zum 1. Januar 2019 ist die zur Südwestdeutschen Medien Holding (SWMH) gehörende Stuttgarter Zeitung Verlagsgesellschaft mbH bei der Bietigheimer Zeitung eingestiegen. Nach eigenen Angaben übernimmt sie diejenigen Anteile, die bislang der Neuen Pressegesellschaft mbH & Co KG (NPG) in Ulm gehört haben.

Wie hoch diese Anteile sind, teilte das Unternehmen nicht mit, das eine Meldung in der Zeitung zu der Übernahme veröffentlicht hat. Das Bundeskartellamt muss der Übertragung noch zustimmen. Die Gesellschafterstellung der Eigentümerfamilien Gläser bleibe durch die Beteiligung unberührt, hieß es in der Zeitungsmeldung. Man wolle „zukünftig gemeinsam Marktchancen noch besser nutzen“, teilte der Geschäftsführer und BZ-Gesellschafter des DV-Medienhauses in Bietigheim-Bissingen, Stefan Gläser, mit. „Mit dem Zusammenschluss verfolgen wir insbesondere das Ziel, den vielen Facetten der digitalen Transformation zu begegnen und zusätzliche Synergien aus der Zusammenarbeit der beiden Häuser zu heben“, so Gläser weiter. Der Geschäftsführer der Stuttgarter Zeitung Verlagsgesellschaft mbH, Herbert Dachs, betonte, dass es sich auch im Blick auf die digitalen Angebote um eine „in die Zukunft gerichtete Partnerschaft“ handele.

Denn hier bringt die SWMH einen starken Partner mit. Schon 2016 hat sie die digitalen Kompetenzen von „Stuttgarter Zeitung“, „Stuttgarter Nachrichten“, Schwarzwälder Bote“ sowie „Frankenpost“ (Hof), „Freies Wort“ (Suhl) und „Neue Presse“ (Coburg) in eine gemeinsame Firma gebündelt. SMWH-Chef Herbert Dachs und sein Digital-Verantwortlicher Alexander Kratzer wollen damit die Digitalausgaben der Regionaltitel durch die Zusammenarbeit „effizient und zukunftssicher“ aufstellen. Das ist, da die Verlage ihre Zukunft im Digitalen sehen, keine Kleinigkeit. Was den Technologiepart anbelangt, ist dagegen ja auch nichts einzuwenden. Es wäre mehr als verwunderlich, wenn jede Medienmarke ihren eigenen Online-Vertrieb, Kundenmanagement, Zugangskontrolle etc. aufbauen und pflegen würde. Fatal wäre es, wenn davon auch die Redaktionen betroffen würden.


Eßlinger Zeitung

Seit Oktober 2016 hält die SWMH mit der Übernahme der Anteile von Verlegerin und Geschäftsführerin Christine Bechtle-Kobarg 87% an der Esslinger Zeitung, die übrigen 13% verblieben beim Gesellschafter GO Druck Media Verlag aus Kirchheim/Teck. DJV-Landesvorsitzende Dagmar Lange warnte: „Auch dieser Kauf gehört zu einer größeren Strategie der SWMH, mit der die Medien- und Meinungsvielfalt zu Grabe getragen wird.“ Vorher war die Stuttgarter Zeitung Verlagsgesellschaft mbH mit 24% Minderheitsgesellschafter, Verlegerin Christine Bechtle-Kobarg hielt 63%. Die Eigenständigkeit der Esslinger Zeitung und die Marktstellung ihrer Druckaktivitäten sollte gewahrt werden. STZ-Geschäftsführer Herbert Dachs spricht von Erhalt und Ausbau von Know-how sowie der „Ausschöpfung von Synergiepotenzialen im Zentrum der gemeinsamen Aktivitäten“.

Das nutzt schon mal der Mit-Gesellschafter GO Druck Media Verlag: Seit Januar 2018 wird sein „Der Teckbote“ aus Kirchheim unter Teck mit einer Auflage von 14.000 Exemplaren bei Bechtle Verlag & Druck in Esslingen gedruckt und hat damit den Druck seiner Zeitung unter das SWMH-Dach gepackt. In Kirchheim hat die Fremdvergabe des Druckauftrages zu Personalabbau geführt.


Kreiszeitung Böblinger Bote

Auch die „Kreiszeitung Böblinger Bote“ wurde eine Mehrheitsbeteiligung der Medienholding Süd. Die zur SWMH gehörende Stuttgarter Zeitung hat eine Mehrheitsbeteiligung an der Lokalzeitung von der Verlegerfamilie Schlecht erworben. Damit übernimmt die SWMH vollends die Regie über die seit 1826 erscheinende Lokalzeitung „Böblinger Bote“, nachdem der Konzern bereits vor Jahren 24,9% der Anteile eingekauft hatte. Schon seit 2001 übernimmt die Kreiszeitung Böblinger Bote einen überregionalen Mantel von den Stuttgarter Nachrichten.


Last but not least Mannheim

Dort erleben wir gerade einen Fall von so genannter „Diagonaler Konzentration“: Im Juli 2018 hatte das Rhein-Neckar Fernsehen Insolvenz angemeldet, da der Lokalsender 2017 das Regionalfenster bei RTL verloren hatte und damit seine größte Einnahmequelle von 1,4 Mio Euro im Jahr. Seit dem 1. Januar gehört das Rhein-Neckar Fernsehen (RNF) nun zur Mannheimer Mediengruppe Dr. Haas. In der Diskussion über die Medienkonzentration ist das ein klassischer Fall von „Cross-Media-Ownership“.

Damit erhält der Mannheimer Morgen die Möglichkeit, über eine zusätzliche Mediengattung Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen – und damit auf eine Zielgruppe, die durch ihre bisherigen Publikationen nicht erreicht wurde. Das stärkt ihren publizistischen Einfluss und gefährdet damit die Meinungsvielfalt durch Homogenisierung von Medieninhalten. RNF Geschäftsführer Ralf Kühnl schränkt ein: „Ein Zusammenlegen der Redaktionen ginge auch gar nicht so einfach. Zum einen sind wir medien- und lizenzrechtlich zur Unabhängigkeit verpflichtet. Zum anderen ist Fernsehen zu machen etwas völlig anderes, als für eine Zeitung zu schreiben.“

Die Hoffnungen der Dr. Haas Mediengruppe formuliert Björn Jansen, noch Geschäftsführer der Haas-Mediengruppe, gleichwohl entgegengesetzt: „Wir brauchen für unsere digitalen Angebote verstärkt professionell gemachte Bewegtbilder. Die Nachrichtensendung „RNF LIVE“ lässt sich dafür – verteilt in die einzelnen Sequenzen – hervorragend in das Morgenweb oder die digitale Zeitung integrieren. In den neuen Kanälen können wir unsere Stärken also zusammen ausspielen.“

„Da nur noch die Redaktion beim Mannheimer Morgen in der Tarifbindung ist, hängt das Thema wie ein Damoklesschwert über den betroffenen Kolleg*innen“, fürchtet die DJV-Landesvorsitzende Dagmar Lange. Seitens der Geschäftsführung gibt es Überlegungen, durch einen Ausstieg aus der Tarifbindung Millionen Euro einsparen zu können. Das Thema wird auch ab Sommer unter dem neuen Geschäftsführer Florian Kranefuß virulent bleiben. Der bis dahin geschäftsführende Gesellschafter des MaMo, Björn Jansen, verweist auf Anzeigen- und Auflagenrückgänge, auf den Druck durch Pensionsrückstellungen und die Kosten für die Zusteller. Damit begründet er ein anstehendes striktes Kostenmanagement. „Jansen vergisst bei der Aufzählung, dass mit mannheim24, einer Kooperation mit Ippen Digital, satte Gewinne eingefahren werden, nicht zuletzt, weil die Werbeeinnahmen dafür sprunghaft angestiegen sind“, so Lange. Mit einem Artikel würde laut Ippen Digital auch schon mal mehr als 50.000 Euro verdient, die Millionen-Grenze bei den Klicks häufig überschritten. Nicht umsonst nennen sich die Chefredakteure von Ippen Digital selbst „Klick-Kapitäne“.


Zombifizierung: Untote Zeitungen

Aber solange die Zeitungsständer an den Bahnhofskiosken überquellen, kann es doch um die Medienbranche hierzulande so schlecht nicht stehen wie anderswo? Unter dem schönen Titel „Wir kamen, sahen – und checken es nicht“ schreibt die Redaktion von meta, dem Magazin der Wissenschafts-Pressekonferenz e.V., dass in Deutschland bevorzugt eine besonders unsichtbare Form des Mediensterbens praktiziert werde, nämlich die Zombifizierung, wie sie es nennen. Kurz zusammengefasst meinen sie damit: Die Medienhäuser entlassen Mitarbeiter, kürzen Budgets von Freien, und bauen Zentralredaktionen, die den gleichen Inhalt in immer mehr Mediengefäße füllen. Oder anders ausgedrückt: Sieht aus wie eine Zeitung, aber es fließt kein journalistisches Blut mehr drin. Der Abbau von Arbeitsplätzen in der Redaktion und stetig wachsende Anforderungen durch Funktionskopplungen und crossmediales Arbeiten hätten zu vielfach beklagten Arbeitsbedingungen geführt und die Einstellung von Journalisten zum eigenen Produkt verändert, klingt Röpers Analyse dazu so sachlich wie melancholisch.


Abbau und Tarifflucht

Der Abbau von Redakteursstellen hält weiter an und betrifft neben den großen Verlagsgruppen auch kleinere Zeitungsverlage. Hinzu kommt, dass immer mehr Verlage aus der Tarifbindung aussteigen. Zu den genutzten Fluchtwegen gehören das Outsourcen von Redakteuren in eigenständige, nicht tarifgebundene Gesellschaften, der Einsatz von Leiharbeitnehmern in den Redaktionen sowie die so genannte OT-Mitgliedschaft im Verlegerverband. OT steht für „ohne Tarifbindung“. Ebenfalls genutzt wird die Möglichkeit, Volontäre nicht mehr im Verlag, sondern an Journalistenschulen anzustellen und so die Tarifverträge für Volontäre, insbesondere hinsichtlich des Gehalts, zu umgehen.“. Auch werden Redaktionen zu Tochterunternehmen verlagert, die nicht tarifgebunden sind. Auch hier lohnt sich ein Blick auf die aktuelle Situation in Baden-Württemberg, um sich das Ausmaß vor Augen zu führen:

Beim Schwarzwälder Boten arbeiten die Redaktionsmitglieder seit einem 96 Tage dauernden Streik im Jahr 2011 in einer outgesourcten Firma, die wieder tarifgebunden ist. Der Makel:


Der Tarif gilt nicht für neue Beschäftigte.

Bei der Schwäbischen Zeitung erfolgen Neueinstellungen deutlich unter den Redakteurstarifen; Viele bisherige Beschäftigte haben neue, schlechtere Arbeitsverträge akzeptiert.

Die Heidenheimer Zeitung beschäftigt neue Redakteure untertariflich in einer eigens gegründeten GmbH. Die Pforzheimer Zeitung bezahlt Jungredakteure untertariflich. Oder, wie wir oben schon gesehen haben, die Heilbronner Stimme kauft Geschichten aus dem tariflos arbeitenden RND.


Ohne Tarif, OT, sind in Baden-Württemberg inzwischen folgende Zeitungen: Bietigheimer Zeitung, Die Oberbadische/Oberbadisches Volksblatt, Offenburger Tageblatt, Kornwestheimer Zeitung, Kreiszeitung Böblinger Bote, Leonberger Kreiszeitung, Schwarzwälder Bote, Schwarzwälder Post , Südkurier, Teckbote, Weinheimer Nachrichten.

Die Badischen Neuesten Nachrichten sind zwar wieder in den Schoß des Verlegerverbandes zurückgekehrt, aber weiterhin muss der Gehaltstarifvertrag für Tageszeitungen im Rahmen eines Haustarifvertrags für alle Beschäftigten ausgehandelt werden. Bis zum Redaktionsschluss gab es kein Ergebnis.


Verkauf von e-Papers nimmt zu

Das einzige Wachstum in der Branche sieht man beim Verkauf von e-Papers. Viele Verlage sehen im Verkauf der digitalen Zeitungen inzwischen ihre Zukunft. Der US-amerikanische Journalist Jeff Jarvis hat schon vor einigen Jahren ein treffendes Bild für die Lage der Verlage gezeichnet und es stimmt immer noch: Das Haupthaus (Print) brennt und muss dringend gelöscht werden, weil hier immer noch die meisten Umsätze entstehen, aber gleichzeitig muss der Neubau entwickelt und gebaut werden (Digital), aber dafür hat man nicht genügend Leute und Zeit schon mal gar nicht.

Für die Finanzierung spart man an den Journalisten. Dazu kommt die zunehmende „Verwirrung der Öffentlichkeit“ durch Plattformunternehmen und das inzwischen ausufernde Angebot an Zerstreuung über Netflix, Amazon, Youtube und viele andere. Das e-Paper konkurriert mit all diesen Angeboten auf unserem omnipräsenten Rezeptionskanal – dem kleinen, glänzenden Bildschirm aus der Hosentasche – bei einer reduzierten Aufmerksamkeitsspanne. Untersuchungen zeigen, dass man, übrigens unabhängig vom Alter, lange Informationstexte auf Papier besser erfasst als auf dem Bildschirm – insbesondere unter Zeitdruck.


Chancen nutzen

Auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung in Stuttgart im Februar sagte in seiner Keynote Heribert Prantl, bald ehemaliges Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, das Trägermedium sei ihm egal. Prantl, im weiteren Verlauf der Veranstaltungen mehrfach vermisst, setzte denn auch gleich guten analogen Journalismus mit gutem digitalem Journalismus gleich. Hier negiert er sowohl das veränderte Rezeptionsverhalten am Bildschirm, aber auch die vielfältigen Möglichkeiten zur „zweiten Meinung“, also der schnellen eigenen Recherchere der Leser*innen. Die TAZ stellt die richtige Frage, denn diese lautet nicht, wann Print unter der Woche aus ökonomischen Gründen stirbt, sondern vielmehr: was bieten wir im Netz?

Der analoge Journalismus hat Leserinnen und Leser informiert, die sich mit ihrem gedruckten Stück Papier zurückgezogen haben, um sich zu informieren oder unterhalten zu lassen. Der digitale Journalismus hat exzellente Möglichkeiten, journalistische Prinzipien zu stärken und Arbeitsprozesse transparent zu machen. Es mangelt nicht an Vorstellungskraft und nicht an Ideen. Einen kleinen Einblick in das kreative Potenzial hat auch das MedienZukunftFestival des DJV Baden-Württemberg gezeigt (das Format wird fortgesetzt). Woran es jedoch fehlt, ist der Stolz der Verleger*innen und der Respekt gegenüber dem Journalismus. Mit austauschbaren Sparkonzepten droht der Zeitung in Zukunft vor allem eins: die Entprofessionalisierung.


 

Reply to “Die Zukunft ist schon da”

  1. Raimund Vollmer schreibt: 24. Juli 2020 um 12:28 Ich bin seit 1973 in diesem Beruf, mein Vater und einer meiner Onkel waren es ebenfalls. Wenn ich mich an deren Geschichten erinnere und an das, was ich als Schreiber, noch mehr als Leser, erfahren durfte, dann würde ich resümieren, dass der Abstieg bereits in den 50er Jahren begann – und das seitdem sich dieser Beruf permament in der Verteidigung befindet. Es läuft schon so lange so viel falsch, dass man die Ursachen eigentlich gar nicht mehr erkennen kann. Paralyse durch Analyse kommt jetzt auch noch hinzu. Und wenn ich mir meine Verbandszeitschrift „Journalist“ anschaue, dann habe ich den Eindruck, dass wir bald den Idealzustand erreicht haben. Wir selbst sind unsere letzten Leser. Und wir leben davon, dass wir uns gegenseitig erzählen, wie toll wir sind. Wir sind es nicht. In der letzten Ausgabe des „Journalist“ war der – aus meiner Sicht – interessanteste Artikel eine Anzeige (gestaltet wie Redaktion). Ich glaube, wir haben ein Riesendelta zwischen Fremdwahrnehmung und Selbstwahrnehmung. Und vielleicht fällt sogar dieser Kommentar (also meine Zeil) auch darunter. Wir kaschieren mit hohem Aufwand unsere Verwirrung. Es ist so traurig. Aber die Ursachen haben sich über die Jahrzehnte hinweg aufaddiert. Sagt einer, der es auch nicht besser weiß. Ansonsten: Frau Mathis ist sehr klug. Kompliment.



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