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Susann Mathis

Nicht der Journalismus entscheidet, welche Lösung die beste ist

Alexander Mäder unterrichtet Studierende. Bei RiffReporter schreibt er gemeinsam mit anderen ZukunftsReporter*innen alltagsnahe, wissenschaftlich fundierte Zukunftsszenarien. Das Interview erschien im Blickpunkt zum Themenschwerpunkt "Konstruktiver Journalismus".

Susann Mathis: Wie ist das Projekt „Zukunftsreporter“ eigentlich entstanden?

Alexander Mäder: Wenn es um Zukunftsfragen wie das Klima g

Alexander Mäder lehrt seit 2018 an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Foto: Kai R. Joachim

eht, beschreiben wir in der Regel mit abstrakten Dystopien, wie warm es auf der Erde werden kann und welche Folgen das nach sich zieht. Unsere Idee war es, mittelfristige Szenarien mit einer fiktiven Geschichte auszumalen. So dienen sie als Einstieg in ein Gespräch über Fragen wie: „Wollen wir das so oder wollen wir das lieber anders?“ oder „Was müssen wir machen?“ Unsere Szenarien sind nicht aus der Luft gegriffen. Wir erklären immer was unser Aufhänger für die Geschichte war. Oft verbinden wir diese Arbeit mit Bürgerdialogen, die wir mit einem Partner wie einer Stiftung oder einer Stadtbibliothek durchführen.


Susann Mathis: Es gibt ja immer eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie man sich Zukunft vorstellen kann, das ist sehr aufwändig. Ist „Zeit“ ein zentrales Merkmal des konstruktiven Journalismus?

Alexander Mäder: Im konstruktiven, lösungsorientierten Journalismus haben wir oft ausgeruhte, längere Stücke. Das kostet Kraft. Nicht nur, weil man immer wieder neu denken muss, sondern auch, weil man sich tatsächlich mehr Zeit nimmt und mit mehr Leuten spricht. Bei den Kurznachrichten sehe ich nicht vieles, was man bei der Geschwindigkeit im Newsroom anders machen könnte. Aber es ist ja auch nicht so, dass der konstruktive Journalismus sich als Alternative betrachtet, sondern als interessante Ergänzung, vielleicht auch als Rückbesinnung auf ein paar Werte, die in den letzten Jahren in den Hintergrund getreten sind. Wir planen ja nicht die Revolution.


Susann Mathis: Dafür spricht, dass es auch in den klassischen Medien immer mehr Plätze für konstruktiven und lösungsorientierten Journalismus gibt. Gleichzeitig heißt es, er sei in Deutschland nicht so gut entwickelt. Wie schätzen Sie das ein?

Alexander Mäder: Als wir vor zwei Jahren mit unserem Erasmus-Projekt zum dialogorientierten Journalismus angefangen haben, hatte ich das Gefühl, dass bei unseren Partnern in Dänemark und den Niederlanden alles sehr viel eingespielter ist. Aber in der letzten Zeit habe ich auch den Eindruck, hier und da gibt es im Lokaljournalismus, aber auch im nationalen Journalismus, Dialog-Formate und neue Ideen mit dem Leitgedanken, das Publikum ernster zu nehmen. Da ist in Deutschland etwas in Bewegung.


Susann Mathis: Wie schlägt sich der konstruktive Journalismus bei Ihnen in der Lehre nieder?

Alexander Mäder: In unserer Vorlesung „International Content Production“, setzen wir gemeinsam mit wechselnden Medienpartnern größere Projekte um, die wir dem konstruktiven Journalismus gewidmet haben. So bekommen unsere Studierenden Einblick in die Praxis und die Redaktionen vielleicht ein paar frische Ideen von jungen Leuten. Das begleite ich mit einer Vorlesung und vorab beginnen wir mit Übungen, zum Beispiel einen traditionell geschriebenen Artikel konstruktiv zu redigieren. Einfach das Wort „Skandal“ durch „Herausforderung“ zu ersetzen, kann es ja nicht sein. Vielmehr wird geübt, positive Aspekte nicht unter den Tisch fallen zu lassen, damit sich die Leserinnen und Leser ein umfassendes Bild des Problems machen und Lösungsansätze erkennen können.

Der konstruktive Journalismus bietet einen kleinen Werkzeugkasten, zum Beispiel Fragen, Analysemethoden, Denkrichtungen. Worauf wir dabei immer wieder kommen: Es ist am Ende auch eine Frage der Einstellung. Das Ganze beginnt damit, dass man sich als Journalistin, als Journalist fragt: „Was richte ich mit meiner Berichterstattung an?“. Ich schiebe ja nicht nur die Informationen raus, sondern das macht auch etwas mit dem Publikum. Ulrik Haagerup, einer der Gründungsväter des konstruktiven Journalismus und Gründer des konstruktiven Instituts in Dänemark, war vorher Leiter des dänischen Rundfunks. Sein Umdenken hat damit begonnen, dass er seine eigenen Abendnachrichten angesehen hat und dabei festgestellt hat, dass man bei der Sendung depressiv werden konnte.


Susann Mathis: Eine Kritik lautet, dass es billiger ist, einfache Lösungen vorzuschlagen als investigativen Journalismus zu betreiben.

Alexander Mäder: Es sollte nicht der Journalismus entscheiden, welche Lösung die beste ist. Welche Lösung am Ende gut ist, entscheiden Politik und Öffentlichkeit, also das Volk der Demokratie. Das ist einer der Gründe, warum im konstruktiven Journalismus die Publikumsorientierung eine starke Rolle spielt: Man kann Entscheidungen nicht nur mit den Expertinnen und Entscheidungsträgern aushandeln, man muss ein größeres Bild einbringen.


Susann Mathis: In der Coronakrise haben sich viele Probleme entwickelt, weil aus dem Bedürfnis nach Information und Orientierung ein großer Zeitdruck entstanden ist. Für den konstruktiven Journalismus ist das keine gute Voraussetzung.

Alexander Mäder: Vielleicht findet man irgendwann einen Weg, wie man das auch unter Zeitdruck gut hinkriegt. Aber ja, das waren schwierige Bedingungen, um konstruktiven Journalismus stark zu machen. Insofern bin ich mit der Berichterstattung gar nicht so unzufrieden. In der Coronakrise mangelte es nicht an Lösungsideen. Das Problem bestand eher darin, dass sie sich widersprochen haben. Man kann auch nicht einfach die Wissenschaft entscheiden lassen, ob die Schulen schließen oder offenbleiben. Da müssen wir als Gesellschaft die Verantwortung übernehmen.

Auch in anderen Bereichen liegen viele Lösungen auf dem Tisch, etwa beim Klimawandel. Nun geht es darum, voranzukommen und nicht in einer Haltung zu verharren, die besagt: „Das ist so teuer. Ich will keine Verbote. Wir emittieren gerade mal zwei Prozent der globalen Emissionen – was können wir schon ausrichten?“ Solche Argumente verhindern, dass wir in einem gesellschaftlichen Dialog Kompromisslinien ausloten. Wenn die Medien etwas dazu beitragen können, dass die Lösung von Problemen gemeinsam angegangen wird, wäre das hilfreich und würde auch nicht die journalistische Unabhängigkeit untergraben. Man macht sich damit niemandem gemein, außer mit seinem Publikum.

Alexander Mäder hat einige Jahre das Wissenschaftsressort der Stuttgarter Zeitung geleitet sowie das Magazin „bild der wissenschaft“. Seit 2018 unterrichtet er hauptberuflich Journalismus an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Bei RiffReporter.de schreibt er für die „Zukunftsreporter“ und das Projekt „Klima wandeln“. Er ist Dozent am Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation in Karlsruhe und Mitglied des Berufsverbands Wissenschafts-Pressekonferenz (WPK).


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