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  • Susann Mathis

Angst essen Seele auf. Der Journalist und Autor Bruno Schirra auf dem baden-württembergischen Journa

Bruno Schirras Name war zum ersten Mal einem breiten Publikum bekannt geworden, als aufgrund eines seiner Artikel 2005, der vertrauliche Akten des Bundeskriminalamts zitierte, die Redaktionsräume des Cicero und sein Privathaus durchsucht worden waren. Gegen Schirra wurde wegen Offenbarung von Dienstgeheimnissen Anklage erhoben. Tatsächlich aber ging es bei dem Verfahren um die Pressefreiheit, nämlich um das Zeugnisverweigerungsrecht zum Informantenschutz. Die Affäre war und ist für Schirra mit negativen Auswirkungen verbunden – Hintergründe und weiterführende Informationen sind online durch unterschiedliche Quellen dokumentiert.

Bei seinem Besuch des baden-württembergischen Journalistentags war die Causa Cicero jedoch kein Thema. Vielmehr gemahnte der Islamkenner Schirra in seinem „Werkstattbericht“ unter dem Titel „Angst essen Seele auf“, wie die Angst die journalistische Seele aufesse. Mit der Aussage „Wenn Sie heute nach Syrien gehen, sind Sie morgen tot“ beschreibt er drastisch die Gefahr für Journalisten vor Ort und hat selbst erlebt: „Dreizehn meiner Freunde sind tot“. Festangestellte dürften vor Ort gar nicht mehr recherchieren und die New York Times beauftrage stattdessen junge Freiberufler, diese seien wahre „Kinder im Krieg“.

Mit den Worten „Pass auf, was Du veröffentlichst“, bedrohten salafistische Mitbürger den Autor des Buches ISIS, sie wüssten wo er wohne, nicht nur die Hausnummer sondern auch das Stockwerk und die Wohnung seiner Familie. Die Angst verändere die Menschen, führe in der Konsequenz zu einer inneren Bedrohung für unsere Pressefreiheit. „Ich bin schockiert, wie schnell die Solidarisierung mit Charlie Hebdo wieder ein Ende gefunden hat und ich bin schockiert, wie heute Kollegen fragen „Mussten sie denn gar so weit gehen?“ und damit den Opfern eine Mittäterschaft unterstellen“.

Die innere Bedrohung führe dazu, dass Themen von Redaktionen abgebügelt werden mit der Begründung, das sei ihnen zu heiß. Wie etwa die Geschichte der Kollegin, die nach der Veröffentlichung der sexuellen Übergriffe gegenüber Jugendlichen durch katholische Priester untersuchen wollte, ob ähnliches im Umfeld der Moscheen geschehe. Dieser Artikel sei nie beauftragt worden, sagt Schirra, aus Angst.

Am Ende des Journalistentags beantwortet Schirra noch ein paar kurze Fragen für den Blickpunkt

Susann Mathis: Wir haben hier heute mit vielen Facetten der Pressefreiheit zu tun, ein fehlendes Redaktionsstatut etwa ist natürlich eine wesentlich kleinere Bedrohung als Terrordrohungen gegen eine Redaktion. Erscheinen Ihnen unsere Probleme in Deutschland nicht banal?

Bruno Schirra: Sie sind mit einer anderen Realität konfrontiert als ich, aber ich behaupte, Ihre ist nicht leichter zu ertrage. Ich möchte nicht mit den Problemen eines Lokalreporters konfrontiert sein. Wenn ich mein Leben lang so dicht bei den Leuten lebe, da habe ich ganz andere Risiken auszuhalten. Von daher ist das nicht eine banale Realität, wenn über Redaktionsstatut und andere Hemmnisse gesprochen wird.

SM: Sie beschreiben, dass oft Angst die Ursache dafür ist, dass eine Geschichte nicht von der Redaktion beauftragt wird oder dass zu wenig Mittel für Recherchen bereitgestellt werden, aber wie oft ist dafür auch die Trägheit unserer Zivilgesellschaft hier in Deutschland verantwortlich, etwa wenn breite Bevölkerungsschichten sich über die Bespitzelung durch die NSA so wenig aufregen, dass sich auch die Politik nicht wirklich bemüßigt fühlt, hier zu intervenieren.

Bruno Schirra: Es ist nicht einfach, hier eine endgültige Position zu formulieren, doch ich habe die Überraschung bis zum heutigen Tag nicht verstanden, weil schon seit 30 Jahren bekannt ist, was die NSA betreibt. Hat irgendwer allen Ernstes geglaubt, die NSA würde daher die Vorteile des Internets nicht wahrnehmen? Dass der BND mit der NSA zusammenarbeitet, und — obwohl er das nicht darf — in Deutschland tätig ist, dass – unbeschadet wie die Farbe der Regierung ist – jede Regierung das weiß, und das auch will, das ist so. Die Leute wollen es nicht wahrhaben. Die Leute regen sich auf, weil sie denken, die NSA kennen ihre intimen Geheimnisse, aber gleichzeitig geben dieselben Leute bei Facebook und bei Twitter diese intimen Daten preis. Das ist eine merkwürdige Gemengelage. Die Leute sollten empört sein, täglich sollten Hunderttausende demonstrieren, doch hier herrscht das Prinzip Trägheit.

SM: Sie sagen, dass in Europa durch heimkehrende ISIS Terroristen eine verstärkte Terrorgefahr besteht, dass der Terror auch nach Deutschland kommt. Wo zwischen Angst und Trägheit stehen wir bei diesem Thema in Deutschland?

Bruno Schirra: Man wusste ja seit dem September 2001, dass es eine Terrorgefahr gibt. Die Aufmerksamkeit ist danach wieder abgeflacht, doch seit vergangenem Sommer, seit dem Aufkommen der ISIS, ist diese Gefahr wieder in das Bewusstsein der Menschen gedrungen. Plötzlich beschäftigen sich viele damit und erkennen, dass es sich um eine konkrete Gefahr handelt, die einen ganz persönlich treffen kann. Da sagen nun die Leute: Wir wollen aufgeklärt werden. Sie werden aber von unserer Profession zu wenig aufgeklärt. Die Leute beklagen sich zurecht, wenn sie sagen: Ihr Journalisten versagt hier auf ganzer Linie, wir wollen kein Alarmismus, wir wollen keine islamophobe Verdammung einer Religion. Aber die Leute erleben ein Defizit der Information, der Aufklärung, und da versagt unsere Branche.

SM: Ist das in anderen europäischen Ländern – Sie leben ja die Hälfte Ihrer Zeit in Frankreich – anders oder besser?

Bruno Schirra: Nein. Die Franzosen gehen gelassener damit um, aber die französische Presse krankt an genau demselben Syndrom wie auch die britische, lediglich die Schweizer Presse ist ein bisschen besser aufgestellt. Vielleicht liegt das daran, dass kein Land in Europa einen so hohen Ausländeranteil hat wie die Schweiz und damit auch mit den Problemen noch dichter konfrontiert ist.

Bruno Schirra stellte außerdem sein neues Buch „ISIS – Der globale Dschihad“ vor.

ISIS – der „Islamische Staat“ – hat binnen weniger Wochen das erreicht, wovon Al-Qaida immer geträumt hat. Die Bewegung verfügt über Land, unbegrenzte Finanzressourcen, willfährige Kämpfer und hat Zugang zu chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen. Der Terror-Anschlag auf die Redaktion der satirischen Wochenzeitung Charlie Hebdo in Paris macht auf erschütternde Weise klar: deutsche, französische oder österreichische Dschihadisten tragen den Terror auch in unsere Städte. Der Nahost-Experte Bruno Schirra ist seit 30 Jahren im Nahen und Mittleren Osten unterwegs und recherchierte vor Ort im Irak. Er benennt das Versagen des Westens, erklärt den Ursprung und die neue Qualität des Terrors und zeigt die Verbindungen zur deutschen Salafisten-Szene auf. (Aus der Verlagsankündigung)

Bruno Schirra: ISIS – Der globale Dschihad. Wie der „Islamische Staat“ den Terror nach Europa trägt, Januar 2015, Econ Verlag, 336 Seiten, € 18,00 (D) ISBN: 978-3-430-20193-3

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