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  • Susann Mathis

Ich bereue nichts. Ein Projekt über die NSA und Edward Snowden am Badischen Staatstheater

Interview mit dem Dramaturg und Autor Konstantin Küspert

In einer der ersten Szenen kommt der Schauspieler nackt auf die Bühne, vor sich trägt er einen Bildschirm. Vielleicht sei das ja das Bild der totalen Überwachung, spricht er ins Publikum, denn in der Vorbereitung des Stückes habe der Regisseur ihn nicht nur gezwungen, sich selbst auszuziehen, sondern auch, seine Google Daten hacken zulassen. Anschaulich zeigt er, was man aus seinen Daten herauslesen kann. Detailliert erläutert er dem Publikum, was man auf diese Weise über sein Leben erfahren kann. Termine

2013-09-17 14.38.16

Susann Mathis: Das Theater erscheint vielen Menschen eine elitäre Ein­richtung, die von der normalen Welt abgeschlossen ist. Das Karlsruher Staatstheater selber scheint sich aber überhaupt nicht abzuschließen.

Konstantin Küspert: Das Staatstheater ist ja kein reiner Kunstbetrieb, sondern wir machen Kultur und haben damit auch einen Bildungsauftrag und einen Repräsentationsauftrag in der Stadt, d.h.: Wir machen für viele verschiedene Leute Theater. Wir wollen eben nicht nur unser Abonnentenpublikum erreichen, sondern auch ganz neue Schichten erschließen. Ob mit der Gründung des Jungen Staats­theaters oder Projekten für Migranten und für Menschen, die nicht aus einem akademisch geprägten Hintergrund kommen: Es gibt ein großes Bestreben von der Leitung des Theaters, diese ansonsten hermetisch wirkende Institution Theater zu öffnen.

SM: Was bringt einen Theatermacher dazu, sich mit den Methoden seiner Welt eines aktuellen Problems anzunehmen?

KK: Ich begreife meinen Auftrag vielleicht als eine Mischung aus Volkshochschule, Zeitung und Kulturbetrieb. Und dabei greifen wir auch, denn auch das ist unsere Aufgabe, Themen auf, die die Gesellschaft bewegen, die einen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Wir haben schon einmal, in einer ähnlichen Konstellation wenn gleich auch in einer größeren Gruppe ein aktuelles Thema aufgegriffen, zum Thema »NSU«, und so lag es nahe, wieder mit dem gleichen Regisseur Jan-Christoph Gockel und Thomas Halle, dem Schauspieler, ein aktuelles Thema aufzugreifen und nach theatralen Umsetzungen zu suchen.


Der Autor und Dramaturg Konstantin Küspert. Foto: Susann Mathis

SM: Wie sieht eine solche Suche nach theatralen Umsetzungen aus – wenn man also weit darüber hinausgehen will, Gescheh­nisse einfach nur abzubilden oder vielleicht einen Protest zu schüren?

KK: Wir haben sehr lange recherchiert, wir haben uns mit vielen Leuten getroffen, unter anderem mit IT-Spezialisten von der Karlsruher Sicherheitsinitiative und Leuten aus dem Umfeld von Snowden. Wir haben sehr viel gelesen und uns zu Brainstor­mings immer wieder zusammengesetzt. Und dabei sind Fragen entstanden wie zum Beispiel: Kann es nicht sein, dass Snow-den einfach nur gegen Schimären kämpft? Daraus entstand das Bild, den Schauspieler in einer Szene wie Don Quijote gegen Windmühlen kämpfen zu lassen. Ein anderes wichtiges Bild ist die Überwachung. Dieses Gefühl, sich nackig zu machen vor den Überwachungsmechanismen der NSA – da haben wir dann eben den Schauspieler nackig gemacht. Wir haben alle sehr viel geschrieben, auch Thomas Halle, der Schauspieler, daraus haben wir dann destilliert und das Stück in einer sehr knappen Proben-phase – wir hatten eigentlich nur zwei mal eine Woche – zügig zusammengebaut.

Das Stück beginnt mit der Suche nach dem richtigen Bild – Ein einzelner Schauspieler, Thomas Halle, kommt auf die Bühne oder richtiger: er hat seine Garderobe am Rand der Bühne eingerichtet und tritt in die Mitte. Dort beginnt mit der Suche nach dem ersten Bild des Stückes. Mit einem Rubik’s Würfel in der Hand beschreibt er eine fiktive Szene in einem Mos­kauer Tunnel – eine Fahrt zur Person Edward Snowden. Doch er verwirft diesen ersten Versuch: »das wird nicht das erste Bild sein«. Viele weitere erste Bilder wird er noch ent- und verwerfen: Snowdens Begegnung mit den Journalisten Greenwald und Poitras oder die Aufzeichnung der Antwort von James Clapper vor dem US Kongress »No Sir, not wit-tingly«, Elemente aus der Geschichte und Szenen aus Snow-dens Biografie. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wo die Intention Snowdens herkommt, woraus sich dieser Charakter entwickelt hat, trifft er keine Entscheidung – dem Zuschauer bleibt die Wahl.


SM: Das bedeutet aber auch, dass auch für Autoren beim Thea­ter die Teamarbeit sehr wichtig ist, das stellt man sich norma­lerweise anders vor.

KK: Es gibt dieses klassische Autorending, dass man sich zurück­zieht für mehrere Monate und dann ein Werk entsteht, dass man aus sich heraus geschöpft hat. Jedoch gerade beim Theater ist es eine große Chance, einen Text gemeinsam mit dem Regisseur und den Schauspielern zu entwickeln, und gleichberechtigt daran zu arbeiten. Jeder mit der ihm gegebenen Speziali­sierung und dem im gegebenen Fokus. Das ist wesentlich effektiver, als wenn man sich einem solchen Stoff alleine nähert.

SM: Wie hat die Beschäftigung mit dem Thema Überwachung Sie und Ihre Kollegen verändert?

KK: Thomas Halle hat hier sicher den größten Sprung von uns allen gemacht. Er hatte sich vorher lediglich mit den Grundfunktionen seines Smartphones ausgekannt, seit unserer Recherche verschlüsselt er jede einzelne seiner E-Mails. Und kennt sich jetzt auch wirklich gut aus. Und ist auch in der Lage, beide nach Gesprächen mit den Zuschauern Fragen zu beantworten, die für das Stück inhaltlich relevant sind.

»Müssen wir doch erkennen, dass das iPhone, auf das wir alle so sehnlich warten, nur eine Wanze ist, mit der man zufällig auch telefonieren kann«, sagt der Schauspieler, bevor ein Überseekoffer auf die Bühne rollt und er mit den Zuschauern ein Tutorial beginnt: Der Schauspieler erläu­tert PGP Verschlüsselung – Pretty Good Privacy – für alle. Während er die einzelnen Schritte der Verschlüsselung erläu­tert, wird ihm aus dem Überseekoffer ein Kettenhemd überge­streift, eine Rüstung über das Ketten­hemd gezogen. Bei dem Schritt, dass er nun eine Signatur und ein kleines Schloss in seinem Mailprogramm besitzt, wird die Rüstung um gepanzer­te Arme ergänzt. Am Ende verteilt er Rüstungen im Zuschauerraum, um über­haupt mit ihnen kommu­nizieren zu können. Doch »er fühlt sie nicht«. Entwe­der sicher oder nackt, lautet seine Schlussfolgerung.

SM: Informationstechnologie spielt eine große Rolle in unse­rem Leben heute und mutet dann in diesem Zusammenhang auch sehr bedrohlich an, umso mehr, da nur noch Spezialisten verstehen, was da geschieht. Wie war es, das Thema mit IT-Spezialisten zu behandeln?

KK: Was uns zum Beispiel am Anfang immer fasziniert hat, war die Sprache der Spezialisten. Wenn es darum geht, ob eine Ver­schlüsselung sicher oder weniger sicher ist, dann lautet etwa ein Argument: »das ist sehr starke Mathematik«. Das klingt für Außenstehende natürlich erst mal ein wenig wie »das ist sehr starke Magie«. Es war sehr lehrreich zu sehen, wie die Infor­mationstechnologie in unser alltägliches Leben eingreift. Sie ist grotesk omnipräsent und gleichzeitig ist uns in dieser Phase zum ersten Mal klar geworden, dass es sich im Prinzip nur um komplexe Rechenaufgaben handelt.

SM: Snowden ist ja eine erstaunliche Figur. Er verschließt sich seinen Erkenntnissen nicht, sondern zieht seine Konsequen­zen. Inwieweit ist Snowden ein Held, eine Ausnahmeerschei­nung?

KK: Oberflächlich betrachtet taugt Edward Snowden wirklich nur sehr bedingt zum Helden. Er ist dieser blasse, nerdige Compu-tergeek, der am Anfang auch immer mit dieser geklebten Brille aufgetreten ist. Man weiß von ihm, dass er sich freiwillig für den Kriegseinsatz gemeldet hat, sich aber dann im Trainingslager beide Beine gebrochen hat. Er entspricht dem Klischee eines introvertierten, schmächtigen Nerds und nicht dem Klischee des Superman. Viele Informationen aus seinem Privatleben hält er zurück. Auch das mindert seine mediale Verwertbarkeit. In anderer Hinsicht taugt er dann aber doch zum Helden, nämlich weil er systematisch ein Ziel verfolgt hat. Denn hat sich ja wirk­lich einstellen lassen mit dem Ziel, diese Daten zu stehlen, dann hat er über eine lange Zeit schon den Kontakt zu Greenwald und Poitras aufgenommen – d.h. er hat sich über lange Zeit hinweg in Gefahr begeben. Das war keine Kurzschlusshandlung. Und das erfordert viel Mut. Er hat ein gefestigtes Set an moralischen Regeln und denen ist er gefolgt. Und das war sicherlich nicht leicht für ihn und das ist vielleicht wiederum das, was ihn tat­sächlich zum Helden macht. Für uns ist er in jedem Fall ein Held.

„Ich bereue nichts“. Ein NSA-Projekt von Jan-Christoph Gockel, Thomas Halle & Konstantin Küspert.

Vier Fragen an den IT-Sicherheitsexperten Dirk Fox, einer der Partner in der Recherche und Vorbereitung des Theaterstücks:

1 Die Autoren des Stücks »Ich bereue nichts…« wurden von Euch, das heißt von der Karlsruher IT-Sicherheitsinitiative beraten. Wie kam der Kontakt zustanden und was hat Euch als IT-Spezialisten daran interessiert?

Dirk Fox: Die Autoren hatten sich an das CyberForum gewendet, um Kontakt zu Spezialisten im IT-Sicherheitsbereich herzustellen. Für uns ist es eine ganz großartige Geschichte, dass sich Künstler mit dem Thema IT-Sicherheit, Big Data, Verschlüsselung etc. beschäftigen. Wir erreichen schon mit den Anti-Prism-Parties sehr viele Menschen, aber über das Theater wird nun noch mal eine ganz neue Gruppe von Menschen angesprochen.

2 Konstantin Küspert, einer der Autoren sagte, für ihn klinge »starke Mathematik« wie »große Magie«. Wie ist es umgekehrt für Euch gewesen, mit den Künstlern mathema­tische Themen zu bearbeiten?

Dirk Fox: Gerade das Thema Verschlüsselung ist eines unserer Tech­nikthemen, das am weitesten weg ist von der Kunst. Kunst will das Gegenteil von verschlüsseln, Kunst will öffnen. Die beiden Themen sind wie Feuer und Wasser. Verschlüsselung und Daten-schutz behandelt viele technische und darüber hinaus auch noch rechtliche Detailfragen, die sehr trocken sind und von Außenste-henden nur schwer zu fassen. Dennoch haben wir eine Brücke gefunden und zwar die Persönlichkeit von Edward Snowden. Über seine – wahre – Heldengeschichte und die Frage: »Warum hat er sein Leben geopfert?« sind wir das Thema gemeinsam angegangen.

3 Ist denn Kunst oder speziell das Theater überhaupt ein auch für die Zukunft gangbarer Weg, schwierige Tech­nikthemen für eine breite Öffentlichkeit verständlich zu machen?

Dirk Fox: Ich finde es hervorragend, wie sich die Künstler in das Thema hinein gearbeitet haben, denn ganz klar kommt hier auf die Kunst eine große Rolle zu. Wir haben ja auch schon im Vorfeld Anti-Prism-Partys veranstaltet und dabei große Unterstützung vom ZKM und seinem Leiter Peter Weibel bekommen, denn er hat ganz klar gesehen und argumentiert: Das Thema hat mit Freiheit und damit originär auch mit Kunst zu tun.

4 Wie gefällt dir das Ergebnis?

Dirk Fox: Ich bin begeistert. Die Autoren haben großartige Bilder gefunden. Das Stück wirft viele Fragen auf, die es – natürlich – nicht beantworten kann. Das kann das Theater den Zuschauern nicht abnehmen.

Aber das Wichtige ist: Das Stück bietet vielen Menschen einen Zugang zu der Frage, welche Implikationen die Technik auf unsere Gesellschaft hat und damit ist es wegweisend. Was die Kunst natürlich nicht kann, das ist, die Blackbox aufzuboh­ren. Sie kann das Technikding nur umkreisen, sie kann nicht eintauchen, aber das liegt in der Natur der Sache.

Dirk Fox: Vorstand des Cyberforum e.V., Geschäftsführer der Secorvo Security Consulting GmbH und Ini­tiator der Karlsruher IT-Sicherheitsinitiative (KA-IT-Si), ist Diplom-Informatiker und beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit Fragen der Informationssicherheit und des Datenschutzes in Forschung, Entwicklung und Beratung.

erschienen im VKSI Magazin 12

WIEDERAUFNAHME 11.10.2015 STUDIO, Termine

Preis für Thomas Halle

Der Schauspieler Thomas Halle erhielt für seine Leistung in der Inszenierung den diesjährigen Günther-Rühle-Preis. Die Jury des Günther-Rühle-Preises bezeichnete den Preisträger Thomas Halle in ihrer Begründung als »virtuosen Spieler und als jemanden, der zum Denken anregt«. Halle stelle sich in »Ich bereue nichts« »dem Phänomen Edward Snowden und der durch ihn ausgelösten Überwachungs-Debatte« mit »Dring­lichkeit und Unbedingtheit«, er bringe »sich und seine Person buchstäblich selbst ins Spiel und wird so im besten Sinne Iden-tifikations- und Spiegelungsfigur für uns, die wir dem Thema der totalen Überwachung bislang wohl mehr oder weniger indifferent (bis ignorant) gegenüberstanden«.

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