Sieben Fragen zum Gendern
Die Beziehung zwischen Gender-Befürwortern und -Gegnerinnen ist belastet, doch keiner sollte auf stur stellen. Weder ist es hilfreich, jedes Binnen-I persönlich zu nehmen, noch sollte man Texte ignorieren, weil sie im generischen Maskulinum formuliert sind. Sprechen und sprechen lassen, muss die Devise lauten. Besser formulieren ist unser täglicher Job (sorry, Fotograf*innen), aber es ist, ganz ehrlich, auch keine so große Sache. Im Folgenden eine Annäherung in sieben Fragen und Antworten.
1. Gibt es das generische Maskulinum wirklich?
Das Argument, im Plural würde das so genannte „generische Maskulinum“ sich auf Menschen egal welchen Geschlechts beziehen, funktioniert recht gut bei Begriffen wie „Nachbarn“ oder „Touristen“. Bei anderen Begriffen wie „Philosophen“, „Professoren“ oder „Wähler“ führt das jedoch zu einer sprachlichen Unsichtbarkeit von Frauen. Das hat mit den Stereotypen zu tun, die tief in unserem Kopf verankert sind. Sprache wird von Menschen gemacht. Das generische Maskulinum ist deshalb entstanden, weil in der Vergangenheit Männer die Vorherrschaft innehatten: Es gibt keine paradiesische Vorzeit, in der damit alle Menschen gemeint waren. Im Singular verschärft sich das Problem. Im Plural könnte man noch manchmal das Geschlecht des Singulars, aus dem das Wort gebildet wurde, vergessen. Da unsere Sprache aber so ist, wie sie ist, müssen Frauen immer herausfinden, ob sie mitgemeint sind. Der Student, ist er männlichen Geschlechts, ist immer gemeint. Der Student weiblichen Geschlechts muss aus dem Kontext entscheiden, ob sie mit gemeint ist.
2. Wer darf’s entscheiden?
Wir alle entscheiden tagtäglich, wie wir mit unserer Sprache umgehen. Wir entscheiden, welche Anglizismen wir verwenden, welche Metaphern, welche Abkürzungen und auch, wie wir Geschlechter ansprechen. Bei Stellenausschreibungen etc. muss man sich an die Gesetzgebung halten.
Der Duden wiederum ist der Spiegel unserer Sprache. Mehr nicht. Monatlich werden dort automatisiert mehr als 25.000 unterschiedliche Texte, etwa Zeitungsartikel, Romane, Gebrauchsanweisungen auf die Häufigkeit der Wörter untersucht. Dieser Korpus ist die Grundlage dafür, welche Wörter im Duden auftauchen. Bei den 3.000 aktuellen Neuaufnahmen sind neben der heiß debattierten Bösewichtin und der Ärztin unter anderen auch "bienenfreundlich" "Geisterspiel" und "Flugscham" dabei.
Der Rat für deutsche Rechtschreibung, ein zwischenstaatliches Gremium für die Rechtschreibung im deutschen Sprachraum, hat 2018 Vorschläge zur geschlechtergerechten Schreibung präsentiert. Ihrer Ansicht nach verläuft der der Diskurs über gendergerechte Sprache so kontrovers, dass er ihn nicht „durch vorzeitige Empfehlungen und Festlegungen“ beeinflussen will.
3. Sind die Sternchen und die Pausen schön?
Ob Sternchen, Binnen-Is, Schräg- oder Unterstriche schön anzusehen oder -hören sind, ist Geschmackssache und dass die existierenden Lösungen nur bedingt grammatikalisch richtig sind, bestreitet niemand. Darum geht es aber nicht. Wir nutzen Sprache, um miteinander zu kommunizieren. Und dabei wollen wir vor allem verstanden werden, wir wollen präzise sein.
Da immer mehr Menschen in ihren Texten geschlechtersensibel formulieren wollen, wird es auch immer bessere Lösungen geben. Moderator*innen, die den glottalen Verschlusslaut nutzen, berichten, dass sie sich sehr schnell daran gewöhnt haben: Wer Spiegelei, Theater, Urinstinkt und beinhalten sagen kann, kann auch Moderator*innen sagen. Die Erfahrung zeigt, dass es keinen Grund gibt, sich Sorgen zu machen, wir haben uns ja auch an „in 2021“ und an „das macht Sinn“ gewöhnt.
4. Ist jeder, der nicht gendert, gegen Gleichberechtigung?
Mitnichten. Um nicht nur die bekannten Kritiker zu zitieren, lassen sich auch andere Beispiele aufführen: Die Literaturwissenschaftlerin Ewa Trutkowski etwa fürchtet eine verschärfte Diskriminierung. „Für Feministen dürfte es doch viel „schlimmer“ sein, wenn die weibliche Lehrerin vom männlichen Lehrer – und nicht wie bisher von einer sexusmäßig unterspezifizierten, also geschlechtsneutralen maskulinen Grundform – abgeleitet wird.“ Nele Pollatschek ist Schriftsteller, so bezeichnet Pollatschek sich selbst. Ihr kommt es so vor, als sei Deutschland besessen von Genitalien. Die meisten Argumente gegen das Gendern findet sie zwar unsinnig, aber sie empfindet das Gendern insgesamt als sexistisch. „Wer will, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden, der muss sie gleichbehandeln und das heißt, sie gleich zu benennen.“
Ein wichtiger Kritikpunkt lautet, dass Änderungen der Grammatik nicht unsere Welt verändern werden. Vielleicht jedoch bereichern sie die Vorstellungswelt Heranwachsender um ein paar Möglichkeiten. Typographie allein wird es bestimmt nicht richten: Wenn es etwa dem Regierungssprecher Steffen Seibert „gelingt“, den Besuch der Menschenrechtsanwältin Amal Clooney bei Angela Merkel in einem Tweet so aussehen zu lassen, als sei Amal als Begleitung ihres Mannes, einem Schauspieler, gekommen, nützen auch die schönsten Binnen-Is nichts.
5. Gibt es immer eine gute Lösung, geschlechtergerecht zu formulieren?
Leider nein. Zum Beispiel gibt es Wörter mit Spezialproblemen. Sagt etwa ein Mann, dass er der Sekretär einer Organisation sei, ordnen wir ihm automatisch eine andere Position zu als einer Frau, die sagt, sie sei deren Sekretärin.
Typografisch kann man das Sternchen auch anders ausdrücken, die Linguistin Kotthoff etwa plädiert für den Schrägstrich (siehe Interview in diesem Magazin), es gibt den Unterstrich, den Doppelpunkt, in manchen Publikationen findet man auch den Medio·punkt.
Was aber Formulierungen anbelangt, könnte man mit ein bisschen Mühe oft bessere Lösungen finden: Der Satz „Allein für Berlin bedeutet das mehrere Hundert tote Radfahrende und Fußgänger *innen.“ lenkt durch das schematische Gendern regelrecht vom Inhalt ab. Genauso richtig wäre, zu schreiben, dass allein in Berlin mehrere Hundert Menschen beim Radfahren oder zu Fuß gehen tödlich verletzt wurden. Formulierungen sind kein Formelwerk und viele Kolleg*innen schreiben ohne viel Aufhebens geschlechtersensibel.
6. Woher kommt der ganze Blutdruck?
Die einen gendern und sind dadurch sichtbar, die anderen tun es nicht und keiner merkt’s. Um dennoch nicht unbemerkt zu bleiben, schart etwa der Verein deutscher Sprache VDS mit großer Unterstützung von FAZ, Welt und Bild-Zeitung Unterzeichner*innen (ätsch) um seinen Aufruf „Schluss mit Gender-Unfug!“. Die FAZ lässt gerne emeritierte Professoren ausführlich lästern. Unbeeindruckt entscheiden sich immer mehr Behörden und Unternehmen in ihrer internen und externen Kommunikation für Sternchen oder Unterstriche. Viele Medien halten sich derweil die Frage offen. Mittlerweile wird der Ton in der Auseinandersetzung schärfer, wir leben ja schließlich im Zeitalter der Empörung.
Man sollte Verständnis entwickeln, für Personen, die ihr Leben lang nie aufgrund ihres Geschlechtes in ihrer Position hinterfragt wurden. Bei Begriffen stellt man sich die Gruppe vor, die man kennt. Ist also das Kollegium durch weiße, heterosexuelle Männer geprägt, erscheint einem ein Gendersternchen halt widersinnig. Das wird sich erst ändern, wenn sich die Zusammensetzung des Kollegiums ändert.
7. Sind wir irgendwann mal damit fertig?
Die deutsche Sprache ist zu dem geworden, was sie heute ist, weil wir sie sprechen. Und sie entfaltet sich weiter, eben weil wir sie sprechen – im Gegensatz zu Latein oder Altgriechisch. Dabei nehmen wir Worte und grammatikalische Konstruktionen auf, weil wir sie brauchen. Sprache ist beständiger Veränderung unterworfen. Das Wort „Wählscheibe“ brauchen nur noch die Mitarbeiter*innen von Technikmuseen. Wir anderen brauchen heute eher „Lockdown“, „Babysitter“ und „Phishing“. Argumentationen, die bissig darauf verweisen, dass die Apothekerin ursprünglich die Frau des Apothekers war, sind zwar interessant, gleichwohl verweisen sie lediglich auf eine Vergangenheit, in der Frauen nicht Pharmazie studierten. Wir sollten indes gelassen bleiben und uns an die jeweils andere Position gewöhnen. Solange wir sprechen, ist unsere Sprache in Bewegung. Solange wir leben, sind wir noch nicht fertig.
Susann Mathis
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